Marie Durand (1711-1776)
Tour de Constance („Turm der Standhaftigkeit“), Aigues-Mortes
Stahlstich von Justin Ouvrié (1806-1880), graviert von Skelton, 19. Jahrhundert
Eine Familientragödie
(pm). Die Geschichte von Marie Durand erzählt das tragische Schicksal einer ganzen Familie. Marie Durand wird 1711 im südfranzösischen Le Bouchet-de-Pranles geboren. Zu dieser Zeit gibt es in Frankreich wegen der schon lange andauernden Verfolgung nur noch wenige Protestanten, die ihrem Glauben nicht offiziell abgeschworen haben. Auch ist der sogenannte „Kamisardenaufstand“ (1702-1709/10), bei dem sich in Südfrankreich die Protestanten mit Waffengewalt gegen die Verfolgung zur Wehr setzen, da bereits weitgehend beendet.
Im Haus der Familie Durand finden in dieser Zeit immer wieder heimlich protestantische Gottesdienste statt. Zudem weilt Pierre, der Bruder von Marie Durand, in Lausanne, wo er sich zum Pastoren ausbilden lässt. 1720 kehrt er zurück und wirkt – in ständiger Lebens-gefahr – als einer der wichtigsten Pastoren der Untergrundkirche. 1729 wird der Vater, Etienne Durand, nach einem heimlichen Gottesdienst verhaftet und trotz seines hohen Alters inhaftiert. Pierre Durand schreibt daraufhin eine Protestnote an den verantwortlichen Kommandanten: Man könne doch nicht einen armen alten Mann dafür bestrafen, dass er einen Pastoren zum Sohn habe. Und was ihn selber betreffe, so könne er als Pastor seine Gemeinde nicht im Stich lassen. Auch sei er bereit, nötigenfalls als Märtyrer zu sterben: „Wenn mein Heiland mich ruft, sein heiliges Evangelium mit meinem Blut zu besiegeln, dann geschehe sein Wille.“
Bei seiner Verhaftung empfiehlt der Vater seiner neunzehnjährigen Tochter Marie, sich mit Matthieu Serres, einem Freund der Familie zu verheiraten. Nach nur wenigen Wochen Ehe, im Jahr 1730, werden Marie Durand und ihr Mann jedoch verhaftet, ohne sich jemals wiederzusehen.
Im Gefängnis
Obwohl alle Angehörigen der Familie Durand wegen ihres protestantischen Glaubens eingesperrt werden („pour hérésie“ – „wegen Häresie“), bleibt das eigentliche Ziel der Aktionen der überall gesuchte Pastor Pierre Durand. Durch Druck auf die Familie soll dieser dazu gebracht werden, sich seinen Henkern auszuliefern. Marie Durand lässt ihren Bruder jedoch wissen, dass er wegen ihr auf keinen Fall sein Amt aufgeben soll.
Schließlich wird auch die Schwiegermutter von Pierre Durand verhaftet und wie Marie in die Tour de Constance („Turm der Standhaftigkeit“) bei Aigues-Mortes (s. Abb.) eingesperrt. Lange Zeit wirft sie Marie vor, ihr Bruder Pierre habe die ganze Familie ins Unglück gestürzt. Dieser wird 1732, nur zwei Jahre nach der Inhaftierung von Marie Durand, gefasst und in Montpellier durch Erhängen hingerichtet. Seine Frau flieht daraufhin mit den Kindern in die Schweiz.
Späte Freilassung
Trotz dem Märtyrertod von Pierre Durand bleiben die Familienangehörigen für viele weitere Jahre in Haft. Vater Etienne wird vierzehn Jahre später im Alter von 86 Jahren freigelassen. Matt- hieu Serres, den Ehemann von Marie, entlässt man nach zwanzig Jahren In-haftierung unter der Auflage, Frankreich zu verlassen. Die Schwiegermutter von Pierre Durand stirbt nach vierundzwanzig Jahren Haft im Gefängnis. Marie Durand, mit neunzehn als junge Frau verhaftet, bleibt insgesamt 38 Jahre hinter Gittern: Erst 1768 wird sie als alte und körperlich gebrochene Frau wieder freigelassen. Sie kehrt nach Le Bouchet-de-Pranles zurück und stirbt hier 1776 nach acht Jahren in Freiheit.
Standhaftigkeit und Enttäuschung
Marie Durand hat an ihrem Glauben festgehalten, obwohl ein Abschwören zur Freilassung geführt hätte. Ihr wird das in Aigues-Mortes in den Brunnenrand des Kerkers geritzte Wort „REGISTER“ („résister“ – „widerstehen“) zugeschrieben. In einer Gefangenenakte soll zudem an entsprechender Stelle vermerkt sein: „Glaubensstand unverändert.“
Neben der Sorge um das Wohlergehen ihrer Mitgefangenen hat sich Marie Durand vom Gefängnis aus stets auch intensiv um die Tochter ihres hingerichteten Bruders gekümmert. Diese lebte seit der Flucht mit ihrer Mutter in der Schweiz, war jedoch nach deren Tod und dem Tod ihrer Geschwister auf einmal ohne familiäre Bezugspersonen. Trotz allen Bemühungen vonseiten Marie Durands bricht der Briefkontakt mit der Zeit ab, die Nichte kehrt nach Frankreich zurück, konvertiert hier zum Katholizismus und heiratet schließlich einen wohlhabenden Katholiken. Für Marie Durand dürfte dies eine schwere Enttäuschung gewesen sein: Während ein Großteil der Familie um des Glaubens willen Gefängnis und Tod erduldet hatte, wandte sich nun ausgerechnet ihre Nichte, die Tochter eines prominenten Märtyrers, von eben diesem Glauben ab.
◄ Artikel publiziert in: Bibliothek für Hugenottengeschichte, Nr. 04/2013
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Musée du Désert, Mialet (F)
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Musée du Désert, Mialet (F)